Ort: Süleymaniye Moschee, Istanbul
Datum: Oktober 2013
Die Selbstverständlichkeit der Muslima macht mich sprachlos. Sie kommt nachdem der Gottesdienst bereits seit rund 20 Minuten in Gange ist. Mit einem grauen Kaftan und einem blau-weiß gepunkteten Kopftuch bekleidet, legt sie ihre in einer Plastiktüte verstauten Schuhe dicht neben mich. Sie murmelt mir ein paar Sätze zu, aus dem letzten interpretiere ich eine Frage. Ich nicke. Sie fängt an zu beten.
Sie reißt mich raus aus all meinen Versuchen hier in der Süleymaniye Moschee in Istanbul einen Platz zu finden. Touristen dürfen sich während des Gottesdienstes im hinteren Teil der Moschee aufhalten. Der mit einem kniehohen Holzgitterzaun abgetrennte Gebetsbereich ist den betenden Männern vorbehalten. Ein Ordner hatte uns kurz nach Einsetzen des Gebetsrufs unwirsch gebeten Platz zu nehmen. Er wirkt unzufrieden mit der Regelung. Hinter dem kleinen Zaun wirken wir wie Gaffende, Teil von etwas und doch nicht Teilhabende. Sicherlich sind einige froh darüber. Manche der bunt durcheinander gewürfelten Besucher fotografieren auch während des Gebets. Sie sind nicht beteiligt. Doch an das Kopftuch-Gebot haben sich fast alle Frauen gehalten, nur wenige wollten oder mussten die von der Moschee bereitgestellten Kopftücher in Anspruch nehmen. Die meisten hatten offensichtlich vorgesorgt. Auch ich.
Ich habe mich auf meine Fersen gesetzt und auch eher zufällig genau in eines der vielen orangenen Zwiebelteppichfenster mit grau-blauer Umrandung. Sie bilden ein Muster, sie bieten Orientierung und geben einen Platz. Ab und zu drehe ich mich um und werfe einen verstohlenen Blick auf den mit einem mannshohen, dunklen Holzzaun abgetrennten Frauengebetsbereich. Durch den nur mit kleinen Lücken gesäumten Zaun sind nur vage Körperbewegungen zu erkennen.
Aufrecht stehen, verbeugen, aufrecht stehen, sich niederwerfen, aufsitzen und wieder aufrecht stehen. Die Frau, die eben erst neben mir Platz genommen hat, versinkt schnell in ihrem Gebet. Warum betet sie hier mittendrin und nicht in dem abgetrennten hinteren Bereich? Die Ordner sind nirgends zu sehen. Bald darauf kommen hintereinander vier Frauen, eine mit ihrem Sohn. Auch sie fangen an zu beten, jede in ihrem eigenen Rhythmus. Der vielleicht 9-jährige Junge im dunkelblauen T-Shirt schaut verstohlen zu mir herüber und lächelt. Aus einer Plastiktüte holt er ein Modellauto hervor. Er fragt seine Mutter etwas. Die winkt ab, mahnt ihn zur Stille und betet weiter. Der Junge holt das Auto aus der Verpackung und beginnt die Details zu erkunden. Profanes und Sakrales nebeneinander – es scheint keinen zu stören. Auch der Junge scheint sind nicht unwohl zu fühlen. Dass seine Mutter ihn betend sich selbst überlässt akzeptiert er. Er bleibt mit dem Auto dicht neben ihr sitzen, er spürt wohl den leichten Luftzug ihrer Bewegungen. Nach wenigen Minuten beendet die erste Frau ihr Gebet, wenig später auch die anderen.
Die meisten Männer haben den vorderen Gebetsbereich verlassen. Nur einige wenige sitzen noch auf den Teppichen, lesen oder unterhalten sich. So abrupt wie die Frauen gekommen sind verlassen sie die Moschee auch wieder. Zu Abschied richten sie keine Worte an mich, auch keine Geste des Abschieds. In mir bleibt das Gefühl auf eine mir zwar fremde Weise, aber mich doch sehr berührende Art zu einer Mitbeterin geworden zu sein
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