… sollte ich im Rahmen des deutsch-chinesischen Dialogs des Konfuzius-Instituts in Hamburg sprechen. Schnell kam ich auf die Idee zwei chinesische Freundinnen und einen Freund dazu zu befragen um dann drei Geschichten von der Suche nach dem Glück zu erzählen. Drei können nicht stellvertretend für 1,3 Milliarden stehen. Aber es sind drei inmitten von vielen anderen.
Auf einen allgemeineren Rahmen wollte ich aber doch nicht verzichten. Die zwei Kriterien des im April 2012 erschienenen World Happiness Reports sind auch für die drei Geschichten interessant: zum einen geht es um tägliche Emotionen a la „Bist Du heute glücklicher als gestern?“ und zum anderen um die allgemeine Lebenszufriedenheit. Für letztere ist die Gesundheit, das Vertrauen in die Gesellschaft bzw. in soziale Beziehungen und die Qualität der Regierung sehr wichtig. Die nordeuropäischen Länder schneiden am besten ab, Deutschland kommt auf Platz 23 und China landet auf Position 112.
In China wurde zunächst über den Report berichtet, später dann allerdings säntlich Berichterstattung zensiert. Ende September 2012 produziert der staatlichen Fernsehsender CCTV eine Serie mit dem Namen „Was den Leuten auf dem Herzen liegt“ (走基层百姓心声) und im Rahmen derer eine Folge „Was ist Glück?“.
Man wolle die psychischen Herausforderungen des sozialen Wandels thematisieren, so die offizielle Begründung des TV-Senders für die Serie. Die Macher zitierten auch den damals noch amtierenden chinesischen Ministerpräsidenten Wen Jiabao. Wen sagte einmal: „Wir wollen die Menschen glücklicher machen und ihnen mehr Würde geben.“ Der nahende 18. Parteitag der Kommunistischen Partei Chinas spielte sicherlich eine Rolle bei der Produktion. Denn die Partei peilte eine Fortsetzung der „Volksnähe“ an. Der Parteichef in spe, Xi Jinping, sollte wenig später die Vision eines „Traum Chinas“ beschreiben – ein Traum von einem starken Land, einer aufblühenden Nation und einem glücklichen Volk. Die Reihenfolge ist kein Zufall.
Zurück zu der besagten Fernsehproduktion. Journalisten stellten Menschen aus allen Schichten und Berufskontexten die etwas platte Frage „Bist Du/Sind Sie glücklich?“ Furore machten die Antworten eines Wanderarbeiters. Beim ersten Mal antwortete dieser so: „Ich bin Landarbeiter, frag‘ mich nicht.“ Doch der Reporter hakte nach „Sind Sie glücklich?“ Der Wanderarbeiter antwortete nun: „Ich heiße Zeng.“ Darüber lachten sehr viele Chinesen, dann das „glücklich“ in „Bist Du/Sind sie glücklich?“ und das Wort „Nachname“ in „Wie lautet Ihr verehrter Nachname?“ klingt identisch. Der Wanderarbeiter hat die Frage des Journalistin also so verstanden: „Heißen Sie Fu?“. Ob jener diese Frage nun absichtlich oder unabsichtlich falsch verstanden hat, darüber diskutierten Chinas Netizens lange und blieben geteilter Ansicht.
Für Aufsehen sorgte auch die Antwort des Literaturnobelpreisträgers Mo Yan: „Ich weiß es nicht, ich habe nie darüber nachgedacht. Ich stehe jetzt unter großem Druck und mache mir viele Sorgen, kann ich da glücklich sein?“ Er schob dann aber hinterher: „Wenn ich sage, dass ich nicht glücklich bin, wäre das wohl auch übertrieben. Ich habe den Literaturnobelpreis gewonnen, wie kann ich da nicht glücklich sein?“ Dass Mos Antwort etwas gequält klang, darüber waren sich chinesische Internetnutzer einig. „Bist Du/Sind sie glücklich?“ ist seitdem zu einer ironischen Frage verkommen, zu einer Un-Frage, auf die man weder eine ernsthafte Antwort geben kann noch eine erwartet.
Meine erste Glücksgeschichte gehört Tian Shumei. Die 25-jährige ist mittelgroß, etwas pummelig, hat oft rote Backen und fast jedes Mal wenn ich sie treffe eine neue Frisur. Sie probiert gerne etwas Neues aus und liebt modische Accessoires. Tian stammt aus einem kleinen Dorf der zentralchinesischen Provinz Shanxi. Ich habe sie 2008 kennengelernt als sie eine Berufsschule für Hauswirtschaft in Beijing besuchten. Nach dem Abschluss ihrer Ausbildung arbeitete sie bei mehreren Familien, hatte aber oft Pech: sie wurde schlecht behandelt, hatte Angst vor dem Familienhund oder kam mit den Kindern nicht zurecht. Sie wechselte in die Verkaufsbranche, handelte erst mit Taschen, später mit Versicherungen. Der Versuch sich mit einer Freundin selbstständig zu machen scheiterte. Ihr Traum vom schönen freien Leben in einer großen Stadt geriet ins Wanken. Sie ging zurück in ihre Heimat und arbeitet dort in der Firma eines Bekannten.
Das urbane Leben bleibt ihre Vision von Glück. Sie will nicht in Armut leben wie ihre Eltern. Tian möchte, dass man ihr Respekt für ihr hartes Arbeiten entgegenbringt, dass die städtischen Chinesen ihr, der jungen Arbeiterin vom Lande, Würde zugesteht. „Ich möchte meinen Eltern und meinen Dorf ein besseres Leben ermöglichen“, sagt sie oft. Reicher, aber vor allen Dingen respektvoller. Tian Shumei redet respektvoll über das Wort „Respekt“. Sie möchte ein selbstbestimmtes Leben führen, nicht wie viele ihrer Schulkameradinnen früh heiraten und Kinder kriegen. Tian hatte mal einen Freund, aber der war ihr nicht reif genug. „Man muss um sein Glück kämpfen“, sagt sie. Was macht sie am glücklichsten? Ihre Freunde. „Ich weiß nicht was morgen wird, aber ich weiß, dass das Heute am wichtigsten ist“, meint Tian. Es klingt etwas traurig und etwas glücklich zugleich.
Zhang Qiang ist der Besitzer der zweiten Glücksgeschichte. Er ist groß, kräftig und hat meistens einen kurzen Bürstenhaarschnitt und ein jungenhaftes Lachen. Der 35-jährige mag keine Jeans. Zhang lebt in einem alten Hofhaus am Rande Beijings. Im Sommer wird er heiraten – seine zweite Frau. Mit der ersten redet er kein Wort mehr, sie wollte seinen beruflichen Erfolg zu dem er sich nicht zwingen lassen wollte. Wir kennen uns seit 1997, wo wir beide an der Henan Universität in Kaifeng waren, er als Student der Betriebswirtschaftslehre, ich als Deutschlehrerin. Wang kam 1997 nach Beijing und hauste zunächst in dunkel-feuchten Kellerzimmern. Er arbeitete sich hoch und machte Karriere im sich damals gerade entwickelnden IT-Sektor. Nach seiner Scheidung erfüllte er sich dann einen ersten Traum. Er machte sich selbstständig und begann mit Gesundheitskissen und Essensspezialitäten aus seiner Heimat Henan zu handeln.
Zhang unterscheidet zwischen Glück und Glücksgefühl. Letzteres habe er bei gutem Essen, bei schöner Musik, wenn er ein Projekt abgeschlossen oder einen alten Freund getroffen hat. Aber glücklich zu sein ist aus seiner Sicht sehr schwierig: „Ich weiß nicht was ich sicher essen kann [ohne vergiftet oder krank zu werden, KK], immer mehr Leute in meiner Umgebung bekommen komische Krankheiten. Ich muss jeden Tag auf eine Weise, die ich nicht mag, mit meiner Umwelt kommunizieren. Ich muss jeden Tag verdammte Lügen hören.“ Lebensmittelsicherheit und Krankheit beschäftigen Zhang sehr. Er sieht sie nicht nur als Quelle seines eigenen Unglücks, sondern des ganzen Landes. „Warum kann der Staat nicht die Kontrolle über Lebensmittelverstärken? Mi hat ein zuständiger Beamter unter vier Augen einmal Folgendes gesagt: das Wichtigste ist, dass Nahrungsmittel vorhanden sind. Die Leute rebellieren nur wenn es nichts zu essen gibt. Wenn sie durch essen krank werden, dann ist das ihr Problem, darum muss sich der Staat nicht sorgen.“
Zhang will nicht als Dissident bezeichnet werden. „Ich will nichts anzetteln oder jemanden beschimpfen“, so sagt er. „Ich denke nur, wir und unsere Kinder, wir leben hier in China, wir müssen atmen, trinken und essen. Ich weiß nicht ob wir nicht in 5, 10 oder 15 Jahren alle merkwürdige Krankheiten bekommen. Ich weiß auch nicht ob meine Kinder von anderen, deren Väter mein erarbeitetes Geld verprassen, nicht gepiesackt werden. Bei alledem fällt es mir schwer glücklich zu werden.“
Zhang Xianling – sie ist nicht mit Zhang Qiang verwandt – müsste am meisten über Glück wissen. Sie ist 76 Jahre alt, war früher Ingenieurin und jetzt Rentnerin. Zhang ist recht klein, hat volle graue Haare und eine lebhaft-fröhliche Ausstrahlung. Sie ist eine von zwei Gründerinnen des Zusammenschlusses „Mütter von Tiananmen“. Diese Mütter haben ihre Kinder verloren, verloren im Kugelhagel der Nacht vom 3. auf den 4. Juni 1989, jener Nacht, in der die chinesische Regierung die Protestbewegung für Demokratie und Menschenrechte auf dem Platz des Himmlischen Friedens in Beijing mit Waffengewalt auseinandertrieb. Die „Mütter von Tiananmen“ kämpfen seit über 20 Jahren gegen das Vergessen, für eine unabhängige Untersuchung der Ereignisse und für Gerechtigkeit. Zhang hat in jener Nacht ihren ältesten Sohn verloren.
Zhang kenne ich seit 2009, sie ist so etwas wie meine chinesische Großmutter geworden. Sich keine Sorgen um Essen und Kleidung machen und Nachkommen haben, so in etwas laute die überlieferte und bis heute gültige Auffassung von Glück für viele Chinesen, meint Zhang. Materiell solle man über die Runden kommen, dann aber keine weiteren Anstrengungen auf eine solche Suche nach Glück verwenden. Glück besteht für Zhang darin, die eigene Verantwortung als Mutter, als Ehefrau und als Bürgerin anzunehmen und danach zu leben. Dies hat sie all die Jahre trotz der Trauer um ihren Sohn und der Ohnmacht gegenüber den Mächtigen weitersuchen lassen – suchen nach ihrem Glück. In manchen Momenten des Alltags ist das Glück für sie dann einfach da: dann wenn sie ihr Wissen und ihren Horizont erweitern darf, beim Lesen oder beim Reisen. „Ich kann doch auch einfach glücklich“, sagt sie selbst erstaunt.
Geschichten von der Suche nach Glück gibt es so viele wie Menschen auf der Erde. Unsere Geschichten sind sehr unterschiedlich und doch auch gleich. Was ist Ihre Geschichte?
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